1. Die oberirdische Verästelung des Stammes der baumartigen Liliaceae findet in der Regel durch die verfrühte Ausbildung einzelner Achselknospen, die dabei schon ohne Mithilfe der sekundären Gewebebildung besonders grosse Dimensionen erreichen, statt. Nur bei einigen Dracaeneae und Aloe spp. können auch die kleinen Achselknospen später austreiben, wobei sie mit Hilfe der sekundären Gewebebildung ihre dünnen basalen Glieder verdicken und ihre anfangs kleine Insertionsflächen vergrössern können. 2. Die Weise, in der die verfrühte Ausbildung der Achselknospen vor sich geht, ist bei den verschiedenen Tribus verschieden; auch die Ausbildung der sich nicht entwickelnden, ruhenden Knospen ist eine verschiedene. 3. Bei vielen Aloineae konnten in den Achseln der Laubblätter nirgends ruhende Knospen beobachtet werden. Nur bei denjenigen Formen, bei denen eine spät auftretende seitliche Verästelung beobachtet wird, sind derartige ruhende Knospen regelmässig vorhanden. Diese Knospen liegen bei spiraliger Blattstellung nicht in der Mediane des Blattes, sondern sind nach der anodischen Seite des Blattes verschoben. Manchmal sind deren zwei oder mehrere vorhanden in einer einzigen Blattachsel. Bei disticher Blattstellung können die Knospen an beiden Seiten der Mediane zugleich ausgebildet werden. Diese ruhenden Knospen haben eine sehr eigentümliche Form, indem das adossierte Vorblatt in der Rinde des Stammes versenkt ist. Die Axillarknospen derjenigen Arten, denen die genannte späte Verästelung abgeht, entwickeln sich entweder gar nicht oder sie treiben frühzeitig aus, ohne Zwischenstadien. Die Veranlassung dieser frühen Entwickelung der Achselknospen ist für gewöhnlich das Auftreten der Blütenbildung. Das letzte Laubblatt unterhalb der Infloreszenz, und bisweilen zugleich damit auch das vorletzte Blatt, bildet dann unter dem Einfluss der geänderten Verhältnisse einen grossen Seitenspross in seiner Achsel aus. Vereinzelt kann auch ohne diese Veranlassung eine Achselknospe sich am ungeändert fortwachsenden Stamm zu einem Seitenspross entwickeln: namentlich bei Haworthia fanden sich in einzelnen Blattachseln verschieden weit ausgetriebene Seitenachsen. Diese Seitenachsen standen merkwürdigerweise nach der kathodischen Seite der Blattachsel verschoben. 4. Wenn bei den Aloineae nach Infloreszenzbildung ein einzelner Scitenspross auftritt, so wird durch die frühe Ausbildung dieses Sprosses der Infloreszenzstiel bei seiner Ausbildung schon so weit möglich zur Seite gedrängt. Bei fast allen Arten erhält dieser Stiel dazu eine zweischneidige schmale Insertion, die es ermöglicht diesen Stiel so weit nach aussen zu drängen, dass die Verbindung der beiden Teile des entstehenden Sympodiums von vornherein eine ganz vollkommene ist, ohne jegliche Einschnürung oder schwächere Stelle. Die Kiele und Wülste, welche bei Pandanus die Sympodiumbildung merklich unterstützten, sind hier gar nicht erforderlich; die Kiele des Vorblattes sind in Übereinstimmung damit besonders schwach ausgebildet oder fehlen ganz. Nur bei Aloe ciliaris bleibt die Abplattung des Infloreszenzstieles fort; bei dieser Art ist die Sympodiumbildung daher weniger vollkommen. Die Verbindung von Haupt- und Nebenachse ist bei den übrigen Arten nicht weniger vollkommen als bei den Sympodien von Vitis; merkwürdigerweise kann hier bei dem Tragblatt des Seitensprosses genau wie bei Vitis eine Beiknospe auftreten. 5. Wenn nach Blütenbildung zwei Seitensprosse bei den Aloineae auftreten, so ist bei spiraliger Blattstellung die Insertion des Blütenschaftes eine dreikantige, bei disticher Blattstellung eine zweischneidige. Die Verbindung von Hauptachse und Seitenspross ist auch hier eine sehr vollkommene, weil besonders zwischen den beiden Sprossen das Gewebe der Hauptachse emporwächst, sodass die Insertion mehrerer Blätter sogar dort einen Knick erhält. 6. Die Blätter der Aloineae haben vielfach die Eigenschaft, an ihren Rändern Stacheln auszubilden. Wenn nun ein Blatt in seinem Bestreben, den vorhandenen Raum in der Knospe durch sein Wachstum auszufüllen, zu Kantenbildung veranlasst wird, so treten gerade dort die Stachelreihen auf. Daher setzt bei spiraliger Blattstellung die Stachelreihe an der anodischen Seite des Blattes sich oft weiter nach oben fort als an der kathodischen Seite; daher finden wir, wenn bei spiraliger Blattstellung zwei Seitensprosse vorliegen, an dem Vorblatt des untersten Sprosses vier, an dem des zweiten Sprosses drei Stachelreihen; je zwei an den Blatträndern und zwei bezw. eine an den Kielen. Letzteres Blatt ist als einkieliges Vorblatt morphologisch interessant, und bildet das Gegenstück der von Eichler erwähnten dreikieligen Vorblätter bei Marantaceen. Merkwürdigerweise kann auch der Infloreszenzstiel je nach seiner zweischneidigen oder dreikantigen Form zwei bezw. drei Stachelreihen ausbilden. 7. Die anscheinend gabelige Verästelung durch das Auftreten von zwei Seitensprossen ist oekologisch für die Pflanze von ganz anderem Wert als die Sympodiumbildung. Nicht-blühreife Aloineae können sich ebenfalls in der angedeuteten Weise verästeln durch das Auftreten von bald nach der Bildung abortierenden Infloreszenzen. 8. Die Dracaeneae besitzen in den Achseln ihrer Laubblätter stets Achselknospen. Die ruhenden Knospen haben wie bei den Aloineae das adossierte Vorblatt in der Rinde des Stammes versenkt. Durch die Blütenbildung werden stets die Knospen in den .Achseln mehrerer Laubblätter zu stärkerem Wachstum gereizt. Eine oder zwei dieser Knospen treiben aus, die anderen entwickeln sich nicht weiter, sie liefern nur grössere schlafende Knospen als anderswo. Diese von der Blütenbildung auf die Knospen ausgeübte Reizwirkung bedingt nicht nur eine Anlage der Knospe in vergrössertem Massstabe, sondern auch die Disposition der Teile wird dadurch eine andere. Der Reiz muss also schon wirksam sein, bevor Umfang und Lage der Knospenteile feststeht: also schon lange bevor die Knospe für uns erkennbar wird. 9. Wenn bei den Dracaeneae von den gereizten Knospen nur eine austreibt, tritt Sympodiumbildung in etwa derselben Weise wie bei Pandanus auf. Der anfangs aufrechtstehende Infloreszenzstiel wird in seinen höheren Teilen von der sich entwickelnden Seitenknospe zur Seite gedrängt; die Insertion behält aber seine zentrale Lage bei. Dabei spielen die Kiele und Wülste eine ähnliche Rolle wie dort; nur sind sie weniger gut ausgebildet. Der Infloreszenzstiel bleibt seine runde Querschnittsform beibehalten und steckt, wie bei Pandanus, wie aus einem Loch seitlich aus dem Sympodium heraus: diese Stelle bleibt mechanisch minderwertig. 10. Wenn zwei Knospen bei Dracaena zu dicken Asten austreiben, so ist das Ergebnis demjenigen von Pandanus sehr ähnlich. 11. Die Yucceae verhalten sich in allen Hinsichten fast ganz wie die Dracaeneae. Das Vorblatt der ruhenden Achsel- knospen ist jedoch nicht wie dort in die Stammesoberfläche versenkt: die Knospen ragen in gewöhnlicher Weise aus der Oberfläche hervor. Die grossen Knospen verbreitern ihre Insertion durch Kiele oder Wülste oder durch beide: dieses habe ich nicht näher beobachtet. Der bedeutendste Unterschied mit Dracaena ist jedoch, dass der Infloreszenzstiel nicht zur Seite gedrängt wird, sodass von eigentlicher Sympodiumbildung nicht die Rede ist.