A. Die diesem Aufsatz zu grunde liegenden Anschauungen. 1. Die Heterostylie ist zu betrachten als eine Erscheinung der Blütenplastik, durch welche an Pflanzen derselben Art die Blüten in einer kleineren oder grösseren Reihe von Eigenschaften auf bestimmte Weise von einander verschieden sind. Dabei sind die Eigenschaften der Blütenformen in der Weise koordiniert, dass, obschon alle Blüten zwittrig sind, die Pollenübertragung auf die Narben von Blüten derselben Form weniger leicht stattfindet, als die auf Narben von Blüten der andern Formen, und dass ausserdem, wenn erstere stattfinden sollte, diese in den meisten Fällen ohne Erfolg bleiben muss. In dem Grad der Heterostylie finden sich bei den verschiedenen Pflanzenarten erhebliche Unterschiede. Sowohl diejenigen Eigenschaften, welche die Kreuzbestäubung zwischen verschiedenen Formen besorgen müssen, als diejenigen, welche die Sterilität der illegitimen Bestäubung bedingen müssen, können mehr oder weniger vollkommen zweckentsprechend ausgebildet sein. 2. Bei der Heterodistylie gibt es bekanntlich einen einzigen, bei der Heterotristylie einige wenige Erbfaktoren, welche die Plastik der einzelnen Blütenform bedingen. Diese Erbfaktoren beeinflussen den durch eine grosse Menge anderer formbildenden Kräfte bedingten Entwicklungsvorgang der verschiedenen Blütenteile in der Weise, dass die für die Blütenform charakteristischen Gebilde in ihrer besonderen Gestalt entstehen. B. Ergebnisse der Untersuchung. 3. Bei der Entstehung der Heterotristylie, welche einige Male im Pflanzenreich stattgefunden hat, wird für die Ausbildung der zwei Staubblattformen der nämlichen Blüte eine schon vorhandene Differenzierung der Stamina in zwei Formen ausgenutzt. Dabei haben die heterotristylen Dikotyledonen sich den Unterschied der stärkeren episepalen und der schwächeren epipetalen Staubblätter zu nutze gemacht, während bei den Pontederiaceen der Unterschied zwischen den geförderten Staubblättern der Vorderseite und den geminderten an der Hinterseite dafür an die Stelle tritt: bei den ersteren ist es also die Diplostemonie, bei den letzteren die Zygomorphie, die der Pflanze die zwei Staubblattformen liefert. Dabei bleiben die Grössenverhältnisse der Staubblätter insofern unverändert, dass die ursprünglich längeren Staubblätter in jeder der drei Blütenformen die längeren bleiben. Dadurch wird es bedingt, dass, während der Stempel in den drei Formen der Blüte je eine andere Plastik aufweist, die einzelnen Staubblattquirle nur eine zweifache Plastik zeigen. 4. Nach dem Vorhergehenden gibt es in den drei Formen der heterotristylen Blüten drei Paare von gleichlangen Staubblattarten, zwei lange, zwei mittlere und zwei kurze; die beiden .gleichlangen Staubblattarten erhalten ihre Plastik aber unter dem Einfluss verschiedener Erbfaktoren. Nun wurde oben die Frage gestellt, ob die beiden gleichlangen Staubblattarten in ihrer Plastik wirklich oder nur annähernd gleich seien. Nach den Angaben in der Literatur war es deutlich, dass wenigstens zwischen L m und K m wirkliche Unterschiede vorhanden sein können; die Existenz von Unterschieden Zwischen M 1 und KI oder zwischen L k und M k ist bis jetzt nicht einwandfrei erwiesen. Bei Lythrum Salicaria gelang es ebensowenig, Unterschiede zwischen den beiden langen Staubblattarten oder solche zwischen den beiden kurzen aufzuweisen; die Übereinstimmung dieser Formen war in allen untersuchten Merkmalen eine überraschend genaue. Die beiden mittellangen Staubblattformen, die aus verschiedenen Quirlen gebildet sind und die somit ursprünglich verschieden waren, sind in einigen Merkmalen, die mit der Heterostylie augenscheinlich in weniger engem Zusammenhang stehen, merklich ungleich; der Unterschied, der sonst zwischen den beiden Quirlen vorhanden ist, war nur etwa bis auf die Hälfte beseitigt. Bei andern Merkmalen, die mit der Heterostylie deutlich Zusammenhängen, war der Unterschied dagegen völlig und spurlos verschwunden. Auch die Übereinstimmung von Staubblatt- und Stempellängen war eine sehr grosse: die Heterostylie bei Lythrum Salicaria hat sich augenscheinlich der Vollendung ganz dicht genähert; sie steht in dieser Hinsicht deutlich höher als die von Oxalis. 5. In kurzgriffeligen Pflanzen vom Lythrum Salicaria kann es Vorkommen, dass die langen oder die mittleren Staubblätter einen Teil der Eigenschaften der andern Form annehmen, und zwar wieder in derselben Eigenschaft in verschiedener Abstufung. Die die Plastik eines Organes bedingenden Kräfte sind somit einer Aufspaltung, wenigstens auf zwei verschiedene Weisen, fähig. Das nähere Studium solcher Pflanzen ist daher für unsere Kenntnis der morphogenetischen Faktoren vielleicht van Wichtigkeit. Botanisches Institut der Reichs Universität. Groningen, September 1927.