1930
Physiologische Untersuchungen über die Anthocyane
Publication
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Recueil des travaux botaniques néerlandais , Volume 27 - Issue 1 p. 287- 416
I. Unter den Arbeiten, welche im Laufe der Jahre zur Beantwortung der Frage nach der physiologischen Bedeutung des Anthocyans veröffentlicht wurden, nehmen diejenigen, welche das Problem in chemischer Weise zu lösen versuchen, eine hervorragende Stelle ein. 1. Nach Senebier, de Lamarck, c.s. soll das Anthocyan ein Kennzeichen des Absterbens der Organe sein. Dieser Betrachtungsweise kann aber — ebenso wie der Chromuletheorie, nach welcher das Anthocyan ein Umwandlungs-(Oxydations-) Produkt von Chlorophyll sei, nur historischer Wert beigelegt werden. 2. Es gibt keine Gründe, die Anthocyane als die pflanzlichen Umsetzungs-(Oxydations-)produkte der Gerbstoffe zu betrachten. Die diesbezüglichen Angaben beruhen auf einer falschen Methode, deren man sich zum Nachweis von Gerbstoffen bediente. 3. Es läszt sich zurzeit nicht entscheiden, ob die Anthocyane in der Pflanze durch einen Oxydations-, oder durch einen Reduktionsvorgang gebildet werden; oder ob vielleicht diese beiden Faktoren bei dem Aufbau des roten Farbstoffes zusammen- wirken. a. Die erste Annahme (Oxydationstheorie) kann aus historischen Gründen leicht erklärt werden. Zu ihrer Stützung fehlt aber jeder experimentelle Beweis. So lange wir bezüglich der Bildungsweise des Anthocyans in der Pflanze nichts weiteres wissen, darf man die Notwendigkeit des Sauerstoffs für das Auftreten der roten Farbe nicht als einen Beweis für diese Hypothese betrachten. b. Die zweite Voraussetzung stützt sich erstens auf die Tatsache, dasz in den Extrakten vieler Pflanzen, welche Anthocyan zu enthalten vermögen, die Anwesenheit von Flavonen recht wahrscheinlich ist, und zweitens auf die Beobachtung Willstätters, dasz die Flavone sich durch Reduktion in die Anthocyane überführen lassen. Die Isolierung und Reindarstellung dieser Flavone steht aber zurzeit noch aus; somit läszt es sich nicht entscheiden, ob die Anthocyane und die Flavone, welche in derselben Pflanze zu verschiedenen Zeiten Vorkommen, von einer übereinstimmenden Struktur sind, d. h. ob sie sich nur durch die Oxydationsstufe von einander unterscheiden. Unsere Kenntnise der chemischen Eigenschaften der Anthocyane und ihrer Chromogene weisen zurzeit noch zu grosze Lücken auf, um eine Lösung des Anthocyanproblems nach chemischem Verfahren zu ermöglichen. II. An zweiter Stelle hat man versucht, der physiologischen Bedeutung des Anthocyans näher beizukommen durch das Studium der Assimilationsintensität roter Blätter. 1. Fast immer hat man sich aber zur Messung der Assimilationsleistung einer fehlerhaften und veralteten Methode bedient; somit kann den diesbezüglichen Versuchen nur ein geringer Wert beigelegt werden. Nur die vereinzelten Angaben Willstätters sind in methodischer Hinsicht fehlerfrei. 2. Sehr oft hat man auch dem Umstand, dasz die roten und die grünen Blätter sich nicht selten auszer durch den Anthocyangehalt auch in anderen Hinsichten von einander unterscheiden, nicht genügend Rechnung getragen. Unter diesen Umständen ist es nicht zu entscheiden, ob ein Unterschied in der Assimilationsfähigkeit der roten und der grünen Blätter dem Anthocyan oder irgend einem anderen Faktor zu verdanken sei. Nur Griffon schreibt die niedrigen Assimilationswerte, welche er bei verschiedenen roten Blättern beobachtete, dem niedrigen Chlorophyllgehalt und nicht dem Anthocyan zu. 3. Für die theoretische Betrachtungsweise Noacks über die Rolle der Anthocyane im Assimilationsprozess werden von diesem Forscher keine experimentellen Gründe irgend welcher Bedeutung beigebracht. Mittels der Willstätterschen Methode wurde in der vorliegenden Arbeit eine Untersuchung angestellt nach den von den roten Blättern zerlegten Kohlensäuremengen. 1. An den Purpureavarietäten findet man neben roten Blättern auch solche, welche fast anthocyanfrei sind. Die photosynthetische Wirksamkeit der beiden Blattarten ist dieselbe. Daraus wurde geschlossen, dasz die Absorption bestimmter Strahlenbezirke durch das Anthocyan auf den Assimilationsvorgang ohne Einflusz ist. 2. Die jugendlich roten Blätter weisen ähnlich wie die jugendlich grünen während einer kurzen Zeit nach dem Entfalten eine Erhöhung der Assimilationszahl auf. Es gibt also keinen Grund für die Annahme einer von der Anwesenheit des Anthocyans herrührenden, besonders niedrigen Assimilationsintensität roter Blätter. 3. In mehreren Versuchen wurde beobachtet, dasz die jugendlich roten Blätter zu derselben oder auch zu einer gröszeren Assimilation befähigt sind als die grünen, etwas weiter entwickelten, welche man an derselben Pflanze findet. Im entgegengesetzten Fall aber, gibt es immer zwischen den roten und den grünen Blättern andere Unterschiede (Chlorophyllgehalt), auf welche ein Unterschied in der Assimilation zurückgeführt werden kann. 4. Einige Pflanzen weisen im Frühjahr neben jugendlich roten auch jugendlich grüne Blätter auf; derart, dasz die beiden Blattarten zu derselben Zeit in demselben Stadium ihrer Entwicklung begriffen sind. Auch in diesem Falle stehen die roten Blätter, soweit es die Assimilationsintensität gilt, gar nicht hinter den grünen zurück. Die Angaben bezüglich einer chemischen oder einer physikalischen Beziehung zwischen den Anthocyanen und der Kohlensäureassimilation konnten wir also nicht bestätigen. III. Drittens hat man zur Entscheidung mehrerer Fragen auf dem Gebiete der Anthocyanphysiologie die Abhängigkeit der Anthocyanbildung von verschiedenen Auszenfaktoren erforscht. 1. Die Beobachtung, dasz eine hohe Lichtintensität und eine niedrige Temperatur einen fördernden Einflusz auf den Rötungsprozess vieler Pflanzen ausüben, wird von vielen Forschern aus einer durch diese Auszenbedingungen hervorgerufenen Zuckeranhäufung im Organismus erklärt. 2. Die Anthocyanbildung im Licht beschränkt sich aber nicht auf die chlorophyllführenden Organe, somit gibt es auch einen nicht mit der Assimilation zusammenhängenden Einflusz des Lichtes auf den Rötungsprozess. In den Keimlingen von Fagopyrum esculentum fanden wir ein Material, das sich zu einer näheren Untersuchung des direkten Zusammenhangs zwischen der Anthocyanbildung einerseits und dem Licht und der Temperatur andererseits gut eignete. Dabei stellte sich heraus: 1. Der Prozess der Anthocyanbildung in den Buchweizenkeimlingen setzt sich aus wenigstens zwei Teilprozessen, einem chemischen und einem photochemischen zusammen. 2. Im Licht findet die Umwandlung irgend eines Prochromogens in ein Chromogen statt. Die Geschwindigkeit dieser Reaktion ist umso gröszer, je höher die Temperatur ist. Es verläuft also neben der photochemischen Reaktion eine chemische, deren Geschwindigkeit hinter derjenigen der Lichtreaktion zurücksteht. 3. Der zweite Teil der Anthocyanbildung, die Umsetzung des Chromogens in Anthocyan ist eine gewöhnliche Dunkelreaktion. Der Einflusz der Temperatur auf diese Reaktion ist ganz merkwürdig: Bei einer niedrigen Temperatur ist die Menge des Anthocyans, welche sich aus derselben Menge des Chromogens zu bilden vermag, weit gröszer als bei einer höheren Temperatur. Wir erklären diese Beobachtung durch die Annahme, dasz das Chromogen sich besonders bei der höheren Temperatur auszer in das Anthocyan in irgend eine zweite Verbindung verwandelt. Das Rotwerden der Buchweizenkeimlinge wird also von einem Zusammengehen warmer Licht- und kalter Dunkelperioden stark gefördert. Ähnliches haben mehrere Forscher für die Anthocyanbildung in anderen Pflanzen beobachtet. Es fragt sich also, ob der indirekte Lichteinflusz wohl so grosz sei, wie manchmal vorgestellt wird. Aus den betreffenden Versuchen geht hervor, dasz eine chemische Erklärungsweise dem Problem ziemlich nahe beizukommen gestattet. Diese Arbeit wurde ausgeführt unter im Pflanzenphysiologischen Laboratorium der Universität Amsterdam. Der Direktor, Herr Prof. Dr. Th. Weevers hat mich mit seinem steten Interesse und seinen wertvollen Ratschlägen besonders verpflichtet, wofür ich ihm gerne meinen herzlichen Dank ausspreche.
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| Recueil des travaux botaniques néerlandais | |
| CC BY 3.0 NL ("Naamsvermelding") | |
| Organisation | Koninklijke Nederlandse Botanische Vereniging |
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L.W. Kuilman. (1930). Physiologische Untersuchungen über die Anthocyane. Recueil des travaux botaniques néerlandais, 27(1), 287–416. |
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