1933
Die Pflanzenalkaloide phytochemisch und physiologisch betrachtet
Publication
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Recueil des travaux botaniques néerlandais , Volume 30 - Issue 2/4 p. 336- 463
Eine in Einzelheiten gehende Betrachtung der chemisch gut bekannten Alkaloide zeigte, dass diese alle in mehr oder weniger komplizierter Weise durch biochemisch mögliche Reaktionen aus Eiweissabbauprodukten gebildet werden können. Je enger der Zusammenhang eines Alkaloids mit diesen Eiweissdissimilationsprodukten ist, sodass es durch einfache chemische Prozesse, wie Betainisierung, Methylierung oder Dekarboxylierung aus ihnen hervorgehen mag, umso mehr kommt es in verschiedenen Zweigen des Stammbaums vor. Beispiele sind: Koffein (Trimethylxanthin) in 6 Familien aus den nachfolgenden Ordnungen: Centrospermae, Gruinales, Columniferae, Cistiflorae und Rubiinae. Stachydrin (Prolinbetain) in 4 Familien aus den Ordnungen: Gruinales, Leguminosae, Tubiflorae und Synandrae. Hordenin (dekarboxyliertes und methyliertes Tyrosin) in 3 Familien: Glumiflorae, Loranthiflorae und Centrospermae. Hypaphorin (dekarboxyliertes und methyliertes Tryptophan) in 2 Familien: Centrospermae und Leguminosae. Harman (durch Dekarboxylierung und Ringkondensierung aus Tryptophan gebildet in 2 Familien: Diospyrinae, Rubiinae. Noch viel mehr verbreitet ist das Trigonellin (Pyridinbetain), das in 28 Familien aus 11 Ordnungen angetroffen worden ist und aus Prolin, einem ubiquitären Eiweissabbauprodukt gebildet sein mag. In all diesen Fällen gilt das sogenannte biochemische Grundgesetz Ivanows (s. oben) durchaus nicht, die Anwesenheit dieser Stoffe in den betreffenden Pflanzen deutet gar nicht auf ihre nähere Verwandtschaft hin. Alkaloide, welche blosz durch komplizierte Reaktionen aus den Eiweissabbauprodukten entstanden sein können, kommen dagegen nur an einer Stelle im Stammbaum vor. Meistenfalls charakterisieren sie ein einzelnes Genus, seltener einige nahe verwandte Genera, während blosz die Verteilung des Berberins sich über die Grenzen einer Familie, ja bei der üblichen systematischen Einteilung, über die Grenzen einer Ordnung ausdehnt. Wenn chemische Verwandtschaft zwischen den Alkaloiden phylogenetisch nicht nahe verwandter Pflanzen besteht, so mag das darauf zurückgeführt werden, dass diese Alkaloide aus demselben Eiweissabbauprodukt hervorgegangen sind. Beispiele liefern einerseits die Koka-und Tropaalkaloide als angebliche Prolinabkömmlinge, andererseits die Conium- und Granatalkaloide als Piperidinderivate. Die Möglichkeit, dass völlig dieselbe Abänderungen, unabhängig von einander in verschiedenen Teilen des Stammbaums aufträten, ist umso kleiner je komplizierter diese Abänderungen sind. Vielleicht haben wir im Vorkommen des Berberins bei den verwandten Ordnungen der Polycarpicae und Rhoeadinae einerseits und bei den Rutaceae Xanthoxylum und Toddalia andererseits einen solchen seltenen Fall; es ist jedoch noch nicht völlig sicher ob wirklich bei letzteren das Berberin und nicht ein berberinartiges Alkaloid vorliegt. Auch für die Yohimbe-Alkaloide liegen noch nicht genügende Daten zur Entscheidung in dieser Hinsicht vor. Im Lichte der Mutationstheorie könnten obige Betrachtungen in folgender Weise gedeutet werden: dass in verschiedenen Zweigen des Stammbaums durch unabhängige Mutationskomplexe eben dieselben Aenderungen im Biochemismus der Zellen aufträten, ist zwar nicht unmög- lieh, die Chance ist jedoch desto kleiner, umso grösser die Zahl der dazu benötigten unabhängigen Mutationen ist. Zwar darf man eine Mutation nicht einfach einem chemischen Prozess, wie Dekarboxylierung oder Methylierung gleich stellen, sie muss stets eine völlige Umschaltung im Getriebe der in einander greifenden Lebensprozesse sein. Es liegt jedoch auf der Hand, dass die Mutation, die blosz eine einfache chemische Reaktionsänderung hervorruft, leichter und öfters aufträte, als der Mutationskomplex, der zu komplizierten Abänderungen der Reaktionsketten benötigt sein muss. Die phytochemischen Betrachtungen liefern also manchfache und unzweideutige Hinweise auf die Bildung der Alkaloide aus ubiquitären Abbauprodukten der Eiweisskörper unter spezifische vom Genotypus beherrschte Konstellationen; die Beweise für diese Theorie müssen jedoch den physiologischen Experimenten entnommen werden. Wie oben erörtert wurde, müssen diese Experimente bestimmten Forderungen Genüge leisten und leider ist das bei vielen früheren Arbeiten nicht der Fall. Für die Xanthinderivate, Koffein und Theobromin ist die Sache sicher gestellt; diese Stoffe entstehen durch sekundäre Prozesse aus den Produkten der Eiweissdissimilation und nach wahrscheinlich oxydativem Abbau kann ihr Stickstoff wieder zur Eiweissbildung benutzt werden. Es ist jedoch die Frage ob dies auch für andere Alkaloide zutreffe; Verallgemeinerung auf diesem Gebiete ist gewiss unzulässig. Bei der Keimung völlig oder nahezu alkaloidfreier Samen ist von verschiedenen Autoren eine Neubildung der Alkaloide bei gleichzeitigem Eiweissabbau so nicht ganz sicher gestellt, dann doch sehr wahrscheinlich gemacht, z.B. für die Tropaalkaloide bei Datura (14), für das Hordenin bei Hordeum (124), für das Trigonellin bei Trigonelia (52), für das Narcotin bei Papaver (47) und für das Nikotin bei Nicotiana (51). Bei Keimungsversuchen mit Ricinus communis im Dunkeln in wiederholt ausgewaschenen Sande, gelang es mir eine Neubildung des Ricinins auf Kosten des Stickstoffes der Eiweisskörper experimentell festzustellen. Dass dasselbe für isolierte Cinchona succirubra-Blätter in Bezug auf die amorphen Kinablattalkaloide gilt, haben die in meinem Laboratorium (138) angestellten Versuche wahrscheinlich gemacht und neulich hat Mothes (59) dasselbe für die jungen Tabaksblätter getan. Ob umgekehrt, auch die Alkaloide abgebaut und ihre Abbauprodukte zum Eiweissaufbau verwendet werden können, steht ausser bei den Xanthinderivaten, wo diese Verwendung bewiesen ist, viel weniger fest. Zwar ist bei der Strychnoskeimung durch Sabalitschka und Jungermann und bei der Trigonellakeimung durch Klein und Linser eine Alkaloidabnahme konstatiert ohne dass von Auslaugung die Rede sein konnte; dass jedoch diese Alkaloidabnahme Material zur Synthese der Eiweisskörper liefere, ist hier ebensowenig wie bei den Versuchen Müllers mit Papaver somniferum endgültig entschieden. Hier können zwischen den Alkaloiden, die den Eiweissabbauprodukten nahe stehen und denjenigen, die weit von diesen Dissimilationsprodukten entfernt sind, ganz gut Unterschiede vorliegen; erstere wie Koffein und Hordenin können verwendet werden, bei letzteren, Opiumalkaloiden, Strychnin und Brucin braucht dies gar nicht der Fall zu sein; neue experimentelle Arbeiten sind auf diesem Gebiete sehr notwendig. Es gelang mir bei der Keimung von Ricinus communis einen Abbau des Ricinins wenigstens bei N-Mangel zu konstatieren. Die Alkaloidbildung findet meistens in den jungen, wachsenden Teilen am intensivsten statt, wie von mir für die Xanthinderivate hervorgehoben wurde und von Mothes für das Nikotin dargelegt ist; hier würde man die Alkaloidbildung eher mit der Synthese als mit der Dissimilation der Eiweisskörper verknüpfen, wie jedoch dieser Widerspruch vielleicht zu lösen ist, wurde durch physiologische Versuche mit Ricinus gezeigt. Versuche mit keimenden Ricinussamen ergaben, dass beim Eiweissabbau im Endosperm keine Alkaloidbildung Zu konstatieren ist. Die Eiweissabbauprodukte werden nach den wachsenden Teilen transportiert und spezifische Konstellationen entscheiden, ob dort Alkaloidsynthese stattfinde oder nicht. Bei Ricinus communis z.B. bildet sich das Ricinin hauptsächlich in den wachsenden Kotyledonen, sowohl bei Keimung im Lichte, als bei Etiolement, wenn das Chlorophyll völlig fehlt. Obschon man aus dem fast völligen Fehlen in den Ricinuswurzeln ein Zusammenhang der Ricininbildung mit der Kohlenstoffassimilation vermuten würde, ist diese Vermutung nicht richtig, wie die Ergebnisse bei Etiolement zeigen. Die Alkaloidsynthese findet also hier, auf Kosten transportierter Eiweissabbauprodukte, unter den Bedingungen statt, welche in den wachsenden Teilen, insbesondere in Blatt und Stengel vorherrschen. Die Experimente von Klein und Linser mit Trigonellin- und Stachydrinpflanzen, bei welchen durch Injizierung von Prolin, Ornithin und Diaminovaleriansäure nicht nur Stachydrin- sondern auch Trigonellinbildung hervorgerufen wurde, liefern eine starke Stütze für die phytochemischen Betrachtungen über die Synthese eines Pyridinkomplexes aus Prolin im normalen Stoffwechsel dieser Pflanzen. Durch derartige Versuche wird es nicht nur möglich zu entscheiden, dass Alkaloide sekundär aus Eiweissabbauprodukten entstehen, sondern auch den Weg, der dabei befolgt wird, kennen zu lernen. Die Wielandsche Theorie der Wasserstoffaktivierung, von Kluijver, Hill u.a. als Oxydoreduktionstheorie zum Kern des biochemischen Geschehens ausgebaut, muss auch beim Studium der Alkaloidbilding unser Führer sein. Sie kann zum Teil die Erklärung geben für das Vorkommen so vieler nur im Hydrierungs- und Methylierungsgrad verschiedenen Alkaloide im Gewebe einer selben Pflanze und unsere Einsicht in die Lebensprozesse, welche zur Alkaloidsynthese führen, vertiefen.
| Additional Metadata | |
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| Recueil des travaux botaniques néerlandais | |
| CC BY 3.0 NL ("Naamsvermelding") | |
| Organisation | Koninklijke Nederlandse Botanische Vereniging |
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Th. Weevers. (1933). Die Pflanzenalkaloide phytochemisch und physiologisch betrachtet. Recueil des travaux botaniques néerlandais, 30(2/4), 336–463. |
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